Teil 1
Die beiden Kreis-10-Ortschaften Höngg und Wipkingen kann man seit der letzten Eingemeindung 1934 mittlerweile als bewährtes Paar einstufen; und wie es Paare so an sich haben, sind die beiden trotz geographischer Parallelen glücklicherweise grundverschieden geblieben. Aber Gegensätze ziehen sich an, das ist essentiell, wenn man im selben Kreissaal auskommen will. Die Physik ihrer jeweiligen Lage hingegen suggeriert (frei nach Toni Marshalls „Macht der Geographie“) topographisch trotzdem eine Art dörfliche Verwandtschaft. Wipkingen erstreckt sich vom Waldrand des Waidbergs sanft hinab an die Fluten der Limmat, ähnlich wie Höngg, das etwas distanzierter und entrückter auf seinem sonnigen Sockel thront und mit seinen Villen und Einfamilienhäusern über einen Rebberg und steile Strässchen hinab an den dort vom Hönggerwehr angestauten Fluss schwappt. So träge wie in Höngg die Limmat fliesst, so beschaulich gibt sich auch das Dorfleben (ausser am Meierhofplatz bei Rush-hour), während die flinken Fluten der Limmat unterhalb der Hardbrücke das dynamischere und hektischere Wipkingen akkurat widerspiegeln.
Mit der Physik totpgraphischer Eigenheiten fortfahrend, sei dahingehend differenziert, dass Wipkingen unterhalb des Ampèrestegs nur über eine mickrige, mit zerzausten Bäumchen geschmückte, von grossen Kieseln bedeckte und häufig überflutete Insel verfügt. Sie gemahnt in winterlichen Schneestürmen oder frühmorgens im Herbstnebel an den oberen Yukon in Alaska; insbesondere, wenn sich Möwen, Krähen, Kormorane oder Reiher schreiend um einen Fischkadaver balgen, und sich der Spaziergänger - allein auf weiter Flur und sich einen lachsfressenden Grizzly am Ufer imaginierend - weit weg wähnt. Wildes Wipkingen, hundertprozentig analog. Höngg hingegen besitzt die viel grössere Werdinsel, eine sehr stark genutzte Naherholungszone, deren Westteil im Sommer und an lauen Frühlings- oder Herbstabenden zum Spargelfeld mutiert - man verzeihe dem Schreibenden diesen irritierenden Begriff. Der Ortskundige weiss natürlich, dass dort kein solch spitzes Gemüse wächst, der Boden ist zuwenig sandig, nein, mit Spargeln sind die zur Schau gestellten primären Geschlechtsorgane der sich meist im hohem Gras räkelnden, unschlüssig nach Gleichgesinnten linsenden Nacktmännchen gemeint. Kulanterweise liess Grün Stadt Zürich den buschigen Nord- und Westteil – sinnigerweise „Spitz“ genannt - etwas ausdünnen. Man wird dort bei wärmerem Wetter beim Spazieren mit Hund, Kind und Kegel nun wohl etwas weniger von kopulierenden oder sich gegenseitig Erleichterung verschaffenden Herren der Schöpfung überrascht.
Etwas mehr Halligalli, bzw. Betrieb herrschen im Sommer im Flussbad beim angrenzenden Hönggerwehr und natürlich in den weiter flussaufwärts liegenden Wipkinger Badis Oberer und Unterer Letten. Dort würden allerdings blutte Werdinsel-Spargelstecher wohl stante pede von der tätowierten Jeunesse doréee zur hormonellen Abkühlung in die Limmat geworfen. Der Fluss wird jedoch fatalerweise jeden Sommer ein paar Grad wärmer, 2018 näherten sich Luft- und Wassertemperatur bedenklich an und von Abkühlung im lauen Wasser war bald keine Rede mehr. Es gibt Leute, die behaupten, sie hätten im letzten Sommer in der Limmat sogar geschwitzt.
Gehen wir mit der Geomorphologie des Kreises 10 noch ein bisschen weiter: Im Frühjahr wie im Herbst, wenn die Fischereisaison anfängt, reihen sich in den ersten Tagen nach Ablauf der Schonfrist in Höngg wie auch in Wipkingen die meist in tarnfarbener Ausrüstung, d.h. im Alaska-Style ausgestatteten Hobbyfischer der Limmat entlang. Sie jagen mit ernster Miene mittels Köder, Löffel, Fliege oder schnödem Wurm der Forelle, der Äsche, dem Saibling oder dem Hecht nach. Nach ein paar Tagen sind sie meist wieder weg, weil sie fast nichts fangen. Die ganz wenigen unvorsichtigen Fischlein, die sich erwischen lassen, sind meist Monate oder Jahre zuvor ausgesetzt worden, sie gehen ergo von Menschenhand zurück in Menschenhand, bzw. Menschenmagen - ein etwas tristes Rondo. Der Schreibende kann die Fischarmut bestätigen, tummelt er sich doch oft mit Tauchermaske und Flossen auf dem algenumflorten Grund der Limmat. Weissfische, ergo Schwalen, Brachseln und Barben hat es, ja. Aber erspäht er mal eine seltene Äsche oder gar eine rotgepunktete, in der Strömung schwirrende „Fario fario“, eine Bachforelle, jubelt er wie der Taucher im Meer, an dem ein acht Meter langer Walhai majestätisch vorbeizieht.
Dem Schreibenden ist nicht bekannt, wie die Höngger abstimmten, als es um den Bau des Swissmill-Towers der Coop ging. Das Kornhausmonster bewacht mittlerweile unüberseh- und unverrückbar als steinerne Schildwache das Untertanendorf Wipkingen und wirft im Sommer stundenweise kalten Schatten auf die Sonnenhungrigen im Bad Unterer Letten. Das mindert positiverweise das Hautkrebsrisiko der sich dort Aalenden und auch den Balkonpflanzen auf den nordseitig der Limmat liegenden Wohnhäusern tut im Hochsommer stundenweiser Schatten gut. Aber falls eine Mehrheit der Höngger damals Ja für den grauen Mehlturm stimmten, dann haben Letztere jetzt den Salat, bzw. den Beton. Einigen tieferlebenden Hönggern werden nämlich durch den Bau der zwei Credit-Suisse-Hochhäuser, die im Gesamtpaket mit dem neuen Stadion gebaut werden sollen, die Sicht auf Glärnisch, Vrenelisgärtli und Tödi auf ewig verwehrt - eine späte Rache der Wipkinger?
Dafür hat Höngg mit dem SV Höngg einen guten Fussballklub auf einem hochgelegenen Platz. Trotz der Höhenlage wird dort an Samstagen konsequent ohne zusätzlichen Sauerstoff gespielt, die Höngger Kicker sind durchtrainierte Halbprofis und spielen in der 1. Liga in der Gruppe 3. Das Niveau ist da bereits ziemlich hoch. Sie liegen aber zurzeit leider nur auf dem unspektakulären 8. Platz, während der in den Tiefen der 4. Amateurliga wirkende SC Wipkingen in seiner Gruppe 4 stolzer Tabellenführer ist. (Stand 11. April 2019). Warum nicht also mal an einen Match? Das ist ein weit grösseres Erlebnis als ein dröger, bier- und chipsgesäumter Champions-League-Abend auf dem zerbröselten Sofa.
Höngg hat drei Banken – die Raiffeisen, die UBS und die ZKB. Wipkingen hingegen hat keine. Oder doch: An der Rötelstrasse ist eine WIR-Bank, das ist allerdings eine nach Sozialismus riechende Genossenschaft, die 2018 lächerliche 13.5 Mio Gewinn machte, eine Summe, die finanzwirtschaftlich betrachtet quantité négligeable verkörpert und in der Bankenwelt einem Mückenfurz gleichkommt. Relevant ist in diesem Zusammenhang eher, dass in Höngg durch die Präsenz dreier Grossbanken dem Anschein nach weit mehr Geld verdient und gehortet wird. Logisch: Die Höngger haben im Durchschnitt ein paar Jahrringe mehr auf den Rippen als die Wipkinger und demzufolge auf ihrer citynahen Anhöhe verdientermassen mehr auf der hohen Kante. Deswegen gibt es in Höngg einen gutbestückten Polizeiposten, denn wo Reichtum ist, ist Neid und deshalb ist auch die Polizei da. Die Höngger Beamten dürften da allerdings eine weit ruhigere Kugel schieben als in der City, meist begnügen sie sich, gutversteckt hinter Autos auf dem Trottoir fahrenden Bikern aufzulauern und lustvoll zu büssen. Das materiell weniger gut bestückte Wipkingen hat deshalb konsequenterweise keinen Polizeiposten. Bestätigt wird übrigens diese These des älteren Hönggs auch dadurch, dass es dort doppelt so viele Apotheken gibt wie in Wipkingen. Klar, die reiferen Höngger brauchen mehr Medikamente, Aufbauprodukte und Salben gegen vorzeitige Alterung und all die kleinen Massaker, die mit dem Alter fatalerweise einhergehen.
Wer also etwas entrückt von der lärmigen City und dennoch möglichst nahe am Puls von Wirtschaft und Konsum leben will, zieht schlau nach Höngg. Man ist im Nu mit dem 13-er-Tram am Paradeplatz. Und man schläft dort garantiert ruhiger als im dichtegestressten Wipkingen, wo Nerds, Yuppies, Dinks, Hipsters, Alleinerziehende und Freischaffende jeglicher Couleur mit dem Powerbook im Café fiebrig Jahrhundertprojekte ausbrüten, wo wochentags der Limmat entlang Kitakinder in Marschkolonnen wackelnd Sauerstoff tanken und an sonnigen Sonntagen Myriaden von Jungeltern mit ihren monströsen Kinderwagen Limmatwege und Ausflugscafés verstopfen.
Teil 2
Wenden wir uns in Sachen Höngg/Wipkingen infrastrukturellen Vergleichen zu, z.B. in Sachen Gastronomie. Sollte jemand im Kreis 10 eine existentielle Lust auf eine Fajiita, einen Burrito con Avocado oder eine Ceviche verspüren, so findet er/sie in Höngg im Desperado und in Wipkingen im Piri Taco Erfüllung. Gleiches gilt für diejenigen, die von einem Chicken Tandoori oder einem Punjabi Beef Curry träumen: in Höngg gibt es das Maharani, in Wipkingen das Taj Palace. Essen am Fluss? Kein Problem. Dafür gibt es (knapp noch in Wipkingen) die Chuchi am Wasser unterhalb des Platzspitzes, danach bereits auf Höngger Boden das Restaurant Turbinenhaus und weiter flussabwärts den Hönggerhof. Was klassische italienische Ristoranti angeht, gibt es das Da Biagio in Höngg und in Wipkingen die Osteria Centrale am Bahnhof Wipkingen, ein paar Meter weiter sind es das Tre Fratelli sowie das Tizziani unten an der Hönggerstrasse- wo es übrigens auch prima Pizzas gibt. Sushi? Sashimi? Tepanyaki? Dafür müssen die Höngger nach Wipkingen ins kleine und feine Ototo an der Nordstrasse pilgern, denn in Höngg ist lukullisch das Banner mit der aufgehenden Sonne noch nicht gehisst. Dasselbe gilt auch für die Liebhaber thailändischer Spezialitäten, aus Höngg nimmt man da am besten den 46-er bis Bahnhof Wipkingen und schnauft die Lägernstrasse hoch zum Chaima Take Away. Sollte die kulinarische Vorliebe eher der chinesischen Küche gelten, nehmen in Höngg Ansässige am besten den ETH Hönggerberg-Bus bis Bucheggplatz, dort kocht Meister Gao. Und für Fans der arabisch-libanesischen Küche gibt es das Damas in Wipkingen an der Kyburgstrasse und unweit davon das Fresh Orient, das eher marokkanische Spezialitäten anbietet. Arabischer Food scheint in Höngg noch nicht richtig angekommen zu sein, die Höngger schauen eben im Gegensatz zu den netflixsüchtigen Wipkingern diszipliniert die Tagesschau und misstrauen diesen Musulmanen mit ihrem Hummus - den haben die Höngger lieber im Garten. Der Nahrung aus Kurdistan/Erdoganistan trauen sie eher, gibt es doch in Höngg einen weitum bekannten Kebab-Tempel, das Kebab Höngg. Dazu gesellt das My Pizza Kebab - beide Restaurants stehen an der Limmattalstrasse.
Unentschieden steht es bei den Bäckereien: vier zu vier. Bei
den Metzgereien ist es Patt: eins zu eins. In Sachen Önologie gewinnt Höngg
klar: So eine traditionsbehaftete Kellerei und einen renommierten Weinhändler
wie Zweifel findet man in Wipkingen nicht. Wobei die Reben unterhalb der
Höngger Kirche erstaunlicherweise nicht zu Zweifel gehören, sie werden von der
Stadt Zürich, bzw. vom Juchhof bewirtschaftet, der dann auch die Zürcher
Stadtweine veräussern darf. Reben gibt es in Wipkingen keine, hingegen ist die
Schreber- oder Familiengartendichte höher als in Höngg. Dort gärtnern die
Villenbesitzer lieber ungestört im eigenen Ziergärtchen und essen beim
gediegenen Rasenapéro eigene, sonnengereifte Cherrytomätchen zusammen mit
eiskaltem Verdejo und einer Bio-Burrata. Die stammt allerdings vom Samstagsmarkt
auf dem Wipkinger Röschibachplatz. Einen kleinen Markt gibt es Höngg zwar auch, aber es ist nur ein ein
einziger Stand. Hingegen verfügen beide Orte über den obligaten Bioladen. In
Wipkingen ist es das Ultimo Bacio, in Höngg das Canto Verde. Komischerweise gemahnen
die Namen der beiden Bioläden eher an italienische
Barockoper als an Biogemüse.
Von inneren Werten zu äusseren: Höngger wie Wipkinger kann man durchaus als gutgekleidet taxieren, aber Risse und Löcher in der Kleidung kommen vor. Man sehnt sich dann nach dem Schneiderlein - es sei denn, man gibt sich modebewusst heruntergekommen, d.h. mit zerrissenen Hosen, was aber eher im hippen Wipkingen der Fall sein dürfte. Im bedachteren Höngg ist man entwicklungspsychologisch weiter: Wieso sollte man im vor Sattheit rülpsenden Paradiesland Schweiz in löchrigen Jeans Armut simulieren? In der dritten Welt ist doch auch der Ärmste meist bemüht, anständig daherzukommen, oder? Also sucht man in Höngg brav eine Schneiderei auf, wenn man das Nähen und Stopfen verlernt hat. In der Sparte „Hilfe! Wo kann ich einen Knopf annähen lassen?“ gewinnt Wipkingen aber paradoxerweise haushoch, in Höngg gibt es zwei, in Wipkingen jedoch sagenhafte sieben Änderungschneidereien. Erstaunlich: Ein Grossteil der im Kreis 10 angesiedelten Schneidereien werden von Iranern betrieben. Der Weltreisende sei gewarnt: Die Preise fallen latent höher aus als in den Basars von Schiraz oder Isfahan – oder selbst in Berlin. Bei kaputten Schuhen ist man an beiden Orten gut bedient. Es gibt sie noch, die Schuhmacher, an beiden Orten wirken deren zwei - und sie kopieren sogar Schlüssel.
In der anderen Sparte: „Hilfe, mein Auto springt nicht an!“ wendet man sich in Höngg an die älteren Herren der Garage Zwicky, die nebenbei alte Peugeots fachgerecht restaurieren. Ein Besuch in der Werkstatt oder im Büro lohnt sich, dort hat man noch Zeit für einen Schwatz oder für eine vertiefte Analyse eines Peugeot-504-Pinifarina-Modells. Es riecht nach alten, gemächlicheren Zeiten. Etwas moderner, doch genauso freundlich gesprächig und trotz hoher Arbeitsbelastung immer hilfsbereit gibt sich in an der Hönggerstrasse in Wipkingen der Car-Expert-Garagist Seledin Qajani, ein waschechter Schwamendinger. Ebenfalls ein authentischer Zürihegel scheint der freundliche Herr Preisig zu sein mit seiner Mitsubishi-Garage an der Scheffelstrasse in Wipkingen. Wer sein Velo flicken muss, geht entweder zum Christian Hübscher von Bikeshop Velotech (nebenberuflich übrigens Hof-Fotograf im Kreis10-Online Magazin) an der Röschibachstrasse in Wipkingen oder zum VeloLukas anfangs Regensdorferstrasse in Höngg. Alles bestens also, was motor- oder muskelbetriebene Mobilität angeht.
Wie im Titel leicht polemisch angetönt, stellt sich nun die finale Frage: Wo lebt es sich besser, in Höngg oder in Wipkingen? Eine klare Antwort gibt es nicht, man muss wohl differenzieren – und das ist immer etwas langweilig. Versuchen wir’s dennoch: Jüngere werden sicherlich das stadtnahe und turbulentere Wipkingen bevorzugen, ihnen ist Höngg viel zu ruhig, dort gelle in der Nacht die Stille in den Ohren, der Ort sei doch tot, sagen viele. Das stimmt natürlich überhaupt nicht. Klar, Höngg ist von etwas älteren Menschen besiedelt, ja, aber die sind quicklebendig und werden übrigens immer mehr – also Vorsicht ihr Jungen, denn bald balanciert die demographische Pyramide gefährlich auf der Spitze.
Im Widerspruch liegt eben die Wahrheit. Es kommt nämlich durchaus vor, dass der Schreibende – er haust in Wipkingen – immer wieder von weit jüngeren Wipkingern vernehmen muss, dass sie wie die Alten vom Dichtestress die Nase voll haben und sich weniger Halligalli, weniger Abfälle, weniger Bautätigkeit und mehr Ruhe wünschen. Wipkingen sei mittlerweile viel zu voll, im Sommer mutiere das Limmatufer zum unerträglichen Picknick-Party-Grill-Rimini. Dann nicken sie ernst, gehen betrübt weiter – und werden wohl nie wegziehen. Vielleicht weil es in Wipkingen zum Glück eine gemütliche, atmossphärische Dorfbeiz mit entspanntem Personal gibt und wo Menschen jeglicher Couleur gerne hingehen: Das am Wipkinger Bahnhof gelegene, vom Starrestaurator Urs Räbsamen sanft sanierte Restaurant Nordbrücke. Auf so ein Sozialbiotop wartet Höngg bis heute. Dafür teien sich beide Orte das Restaurant Waid. Gutes Personal, leidlich gute Küche, 365 Tage im Jahr offen und eine grandiose Aussicht auf Zureich.
Den wenigen Zügelwilligen aus Wipkingen sei hiermit geraten, sich doch im nahen Höngg eine Bleibe zu suchen. Man hat dort mehr Weitblick, man hört die Vögel singen und sieht nachts die Sterne besser. Dafür ist der Flughafen weiter weg. Das muss allerdings nicht schlecht sein, denn speziell für grünbehauchte Wipkinger Klimaaktivisten ist der Airport eine fatale, allzu naheliegende Versuchung. Man braucht nur die S-Bahn zu nehmen und steht zehn Minuten später aufgeregt am Check-in-Schalter für den Billigflug nach Barçelona. Deswegen fliegen die reiferen Höngger wohl etwas weniger in der Weltgeschichte herum, sie buchen dafür wohl umsomehr Kreuzfahrten auf überfüllten Dreckschleudern.
Höngg on the Hills or Wipkingen upon Limmat? Es ist schwierig. Am besten, man hält es mit Erich Kästner, der einst sagte: „Die einen essen lieber Makkaroni mit Schinken, die andern grüne Seife“.
Palatso pop up + art feiert Ende Oktober seinen ersten Geburtstag. In den verschiedenen Zeitfenstern (pop up fenster) von je rund acht Wochen verkaufen die drei Initiantinnen – Yvonne Müller, Ilona Schmidt und Nicole Müller – kreative und aussergewöhnliche Artikel hauptsächlich von Schweizer Produzentinnen und Produzenten. Zwischen den pop up fenstern wandelt sich der Laden auch schon mal zur Kunst- und Bildergalerie.
Der Palatso hat sich in der Zwischenzeit zu einer charmanten „Wundertüte von Höngg“ gemausert. Die Macherinnen – auch schon liebevoll „Las Palatsas“ genannt - lassen sich immer etwas Neues einfallen.
Ab Mittwoch, 19. September 2018 werden sich die Türen für die erste Ausgabe von „Palatso goes Trödel“ öffnen. Während drei Wochen finden sich zu den gewohnten Öffnungszeiten Schätze und Trouvaillen, die in verschiedenen Kellern, Estrichen oder sonst wo bei Privatpersonen geschlummert haben. Geschmackvolle, hochwertige und funktionstüchtige Sachen werden im kleinen und feinen Edel-Brockenhaus bis 6. Oktober verkauft.
Palatso pop up + art
Limmattalstrasse 167
8049 Zürich
Telefon 079 696 57 86,
www.palatso.ch
Öffnungszeiten ab 19. September 2018:
Mittwoch bis Freitag von 14 bis 18.30 Uhr, Samstag von 10 bis 16 Uhr
Wie das Tiefbauamt der Stadt Zürich am 30. August informiert hat, wird nach der Teilsanierung 2016 nun vom Montag, 10. September 2018 bis Ende April 2019 die Hönggerstrasse in Wipkingen zwischen der Röschibach- bis zur Dammstrasse erneuert.
Hierfür werden die Bäume an der Hönggerstrasse gefällt und nach den Bauarbeiten im Frühling 2019 ersetzt. Der private Verkehr wird ab Baubeginn stadteinwärts als Einbahnstrasse geführt und der Zugang zu Privat- und Gewerbeliegenschaften sei mit gewissen Behinderungen gewährleistet. In dieser Zeit kann es durch die Arbeiten zu Stau oder kurzfristigen Verkehrsbehinderungen kommen, das Tiefbauamt ist bemüht, diese so gering wie möglich zu halten.
Die Arbeiten zum Strassenoberbau werden in zwei Teilen ausgeführt, der nördliche Bereich (Seite Coop) voraussichtlich bis Mitte Februar, jeder limmatseitig zwischen Februar und April 2019.
Für weitere Informationen steht das Tiefbauamt der Stadt Zürich gerne zur Verfügung. Alle Informationen sind zudem auf der Website einsehbar.
Herr Richard Wolff hat uns auf Anfrage die folgenden Erläuterungen bekannt gegeben.
Fussverkehr
Die Hönggerstrasse weist auf der Nordseite zwei Ausbuchtungen auf. In diesen Bereichen befinden sich heute Parkplätze, die teils längs, teils schräg angeordnet sind. Das Trottoir verläuft im betreffenden Abschnitt der Grundstückgrenze entlang und folgt nicht dem Strassenverlauf. Mit einer Neuanordnung der öffentlichen Parkplätze in diesen Ausbuchtungen vor den Hausnummern 10 und 24 kann das Trottoir neu der Strasse bzw. dem Radstreifen entlang geführt werden. Auch wenn es auf dem Papier nach wenig aussieht, so ist die Massnahme ein klarer Fortschritt, Fusswege sollen immer so direkt wie möglich geführt werden.
Veloverkehr
Beidseitig werden durchgängige Radstreifen mit einer Breite von 1,5 m ausgeführt.
Tempo 30
Der Stadtrat hat die Einsprache gegen T30 mit dem STRB 591/2018 am 11.07.2018 abgewiesen. Das Urteil wurde von den Rekurrenten offenbar aber erst am 23.07. abgeholt (Beginn Frist für Weiterzug). Bis jetzt ist uns kein Weiterzug der Einsprache bekannt. Wir hoffen, dass T30 mit dem Bauprojekt im Herbst umgesetzt werden kann.
Fahrbahn
Die Fahrbahn wird als Kernfahrbahn ohne markierte Mittellinie ausgestaltet. Dies verstärkt die Wahrnehmung als T30-Strecke.
Wertstoffsammelstelle
Die oberirdische Wertstoffsammelstelle wird durch Unterflurcontainer ersetzt.
Die Bäume auf städtischem Grund gehen aufs Ende ihrer Lebensdauer zu. Diese werden im Zuge der Bauarbeiten ersetzt, da innert der nächsten Jahre diese Arbeit ausgeführt werden müsste. Es gibt Totholz mit entsprechender Gefahr von Astabbrüchen. Die mit dem Bauprojekt auszuführenden Belagsarbeiten werden - auch bei grösster Sorgfalt - den Wurzelhorizont der bestehenden Bäume schädigen, was die Lebenserwartung weiter verkürzen wird.
Temporeduktion 30 Nordstrasse:
Die Verkehrsverfügung wurde inzwischen rechtskräftig. Die Umsetzung erfolgte jedoch noch nicht. Zusammen mit dem neuen Geschwindigkeitsregime möchte das Departement Verkehr der Stadt Zürich auch zusätzlich einzelne Markierungsmassnahmen umsetzen, allenfalls gar bauliche Massnahmen. Dies würde zur Verdeutlichung und zum besseren „Verständnis“ des Temporegime beitragen.
Zusammen mit den Partnern Tiefbauamt und VBZ laufen derzeit diese Planungen, die eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Es wird damit gerechnet, dass Tempo 30 deshalb frühestens Ende 2018, wahrscheinlicher aber im Frühjahr 2019 eingeführt werden kann.
Der zum neuzeitlichen Stamm der Wipkinger gehörende Schreiber Daniel Ludwig
lebt über dem Fluss Limmat und sieht vom Laptop aus, wie die Schwalen sich aalen.
Zusammen mit canis lupus Zorro (der Knurrer) durchstreift er bei Nacht und
Nebel, bei Sonne, Wind und Blitzschlag, durch Schnee, Laub und Partymüll das Reich
Wipkingen und jagt die Geschichten aus dem zehnten Kreis.
In Englisch fragte er uns, ob wir ihm helfen könnten, er wohne an der Leutholdstrasse, wir hätten doch einen Hund, ergo wüssten wir sicher, wie man mit einer Katze umgehe, seine Frau - die eine Riesenangst vor Tieren hätte - sei in Panik, denn eine ausgewachsene Katze sei am Vorabend in ihren kleinen Balkon hineingefallen und das Tier sei nunmehr dort blockiert, beherrsche sozusagen den Balkon und trachte danach, in ihre Wohnung zu dringen, seine Frau habe den absoluten Horror davor, das Tier wirke bedrohlich. Er habe dann irgendwie versucht, die Katze zu verjagen, mit Besen und so, aber das sei ihm nicht gelungen, das Tier sei dann bis frühmorgens auf dem Balkon geblieben, sie hätten das Balkonfenster zugesperrt, doch die Katze habe die ganze lange Nacht mit ihren Krallen an die Scheibe der Balkontüre gekratzt, es sei ein Höllenlärm gewesen, seine Frau und er hätten kein Auge zugetan, er habe überlegt, ob er die Katze vom Balkon wegtreten solle – to kick the cat from the balcony – aber er habe davon abgesehen, in der Schweiz gäbe es eine different culture Tieren gegenüber, nun er wisse nicht mehr weiter, er brauche Hilfe, please.
Meine Frau und ich schauten uns an und unterdrückten ein aufkommendes Gelächter. Ich schlug vor, die Nachbarn zu verständigen, da könne sicher jemand helfen. Sonst möge er die 117 wählen, die Nummer der Polizei, die Beamten kämen sicher vorbei oder riefen direkt die Feuerwehr, die sei auf Katzenrettung spezialisiert, firefighters are specialized in cat rescue. Der Mann schien unschlüssig. Die Nachbarn wolle er nicht stören, sagte er, er kenne diese Leute im Haus nicht und die Polizei …. which number, please? Ich wiederholte „117“, doch dem Mann schien mein Vorschlag nicht wirklich zu gefallen.
Meine Frau unterbrach resolut unseren Dialog, stand entschlossen auf und sagte, sie käme der Einfachheit halber zu ihm nach Hause. Eine Katze von einem Balkon befreien sei keine grosse Sache. Der Mann nickte erfreut. Ich bestätigte ihm, dass diese pragmatische Lösung die beste sei, meine Frau sei ein very experienced cat trainer, was nicht gelogen war, meine Frau ist mit ganzen Rudeln von kapriziösen Katzen aufgewachsen.
Wo er den herkomme, fragte ich den Mann, als die beiden wegeilen wollten. Er stamme aus Korea, erwiderte er, er arbeite in Zürich in einem Computer Science program an der ETH. Ah, Korea, antwortete ich. Sehr schön, kenne ich, anneyonghasimikaa, chamsanidaa! „Grüezi“ und „Danke“sagen war das einzige Koreanisch, was mir geblieben war, aber der Koreaner gab sich begeistert und fragte mich, woher ich denn Korea kenne. Ich antwortete, ich hätte 2015 einen Roman geschrieben, der 1953/54 in Korea spiele, das Buch handle von einem jungen Mann, der sich freiwillig als Schweizer Offizier für die Neutral Nations Supervisory Commission NNSC melde, einer Friedensmission, die noch heute an der innerkoreanischen Grenze zusammen mit den Schweden wirke, wenn auch personell stark reduziert. Der Protagonist im Buch sei eigentlich mein Vater, er wäre damals komplett unvorbereitet in den Kalten Krieg geworfen worden. Der Koreaner nickte interessiert.
Ich würde Nordkorea jedoch besser kennen als den Süden, fügte ich bei. Ich hätte dort recherchiert. Der Koreaner zog die Augenbrauen hoch und rollte mit den Augen. Ja, ich sei mit alten sowjetischen Flugzeugen im ganzen Land herumgeflogen, fuhr ich fort, und hätte auch in Begleitung nordkoreanischer Offiziere an die Grenze reisen und die blauen Baracken besuchen können. Dort verlaufe quer über einen Verhandlungstisch ein Mikrophonkabel, das sei die exakte Grenze. Der Koreaner starrte mich ungläubig an.
Ich fügte bei, dass ich auch von Südkorea aus die Grenze besichtigt hätte, mit einem Schweizer Oberst in einem VIP-Mercedes mit NNSC-Flagge und sei als Sohn eines NNSC-Veterans in Panmujeom elegant an südkoreanischen und amerikanischen Checkpoints vorbeigefahren, die Soldaten hätten jeweils zackig salutiert.
Meine Frau - meiner (wahren) Reiseanekdoten langsam überdrüssig – unterbrach meine angeberische Suada und nahm den Koreaner entschlossen am Arm. Sie verschwanden beide Richtung Leutholdstrasse.
Ein paar Minuten später kehrte sie alleine zurück, setzte sich hin und grinste. Es sei kein Problem gewesen, sie hätte nur die Balkontür geöffnet, die Katze – eine schöne langhaarige Angorakatze – habe sich ohne jeden Widerstand an die Brust nehmen lassen. Ein schönes Tier! Danach sei sie mit der Katze an der wild gestikulierenden und laut schreienden Koreanerin vorbei ins Treppenhaus nach unten geeilt, wo zufälligerweise gerade der Katzenbesitzer hochkam und sein abtrünniges Biest in Empfang nehmen konnte. Alles kein Problem.
Ein paar Minuten später tauchte der Koreaner erneut auf. Er übergab meiner Frau ein Geschenkset mit drei mediterranen Saucen und bedankte sich nochmals ausschweifend für die Hilfe. Er hätte sofort gesehen, dass wir ihm helfen könnten, Leute mit Hund wüssten halt, wie man Katzen behandelt. Ich teilte ihm mit, er als Koreaner habe vielleicht auch eine gute Nase für Korea-Kenner. Schliesslich sei ich ja auch in dieselbe Schule in Bern gegangen wie Kim Jong Un.
Kim Jong Un? The north corean dictator? Ja, antwortete ich. Ich sei Jahre vor Kim Jong Un in Bern-Liebefeld im Steinhölzli zur Schule gegangen war, genau da wo auch andere nordkoreanische Nomenklatura-Kinder unterrichtet wurden. Für Privatschulen oder Internate hatten die Nordkoreaner damals viel zuwenig Devisen. Der Koreaner runzelte die Stirn. Doch doch, meinte ich, das stimme alles. Grad kürzlich hätte ich an einer Vernissage einen ehemaligen Lehrer von Kim Jong Un getroffen, der habe mir einige Anekdoten und Geschichten über seinen damaligen Schüler, den späteren Nordkorea-Despoten, erzählt. BBC und CNN hätten ihm damals, als Letzterer zum Präsidenten aufstieg, Tausende von Dollars für Infos über Kim angeboten. Aber die Gemeinde Köniz – von der auch ich stammen würde – habe allen, die je beruflich mit Kim zu tun gehabt hatten, eine Schweigepflicht auferlegt.
Der Koreaner nickte begeistert. Danach schwiegen wir alle, von Tier- und Weltgeschichten erschlagen. Irgendwann verabschiedete sich der Koreaner gestenreich und zog glücklich von dannen. Ein netter, höflicher Mensch, dachte ich. „Was eine simple Angorakatze, die sich auf einen fremden Balkon verirrt, so alles bewirken kann“, resümierte meine Frau. Wir blickten dem Koreaner nach und fühlten eine Art happiness. No korean cat kicking today!
Ratha arbeitete während rekordverdächtigen 28 Jahren im Café Röschibach. Vor einigen Tagen durfte er seinen 50. Geburtstag feiern. Als junger Schulabgänger aus einem Dorf bei Jaffna im Norden Sri Lankas war er 1989 in die Schweiz geflohen. Junge Männer aus der Region waren damals in grosser Zahl von der singhalesischen Armee präventiv verhaftet und in Lagern gehalten worden – man verdächtigte sie, den Freiheitskämpfern der LTTE anzugehören und wollte auch verhindern, dass die berühmt-berüchtigten Tamil Tigers ihrerseits junge Männer aus der Region für ihren Befreiungskampf rekrutierten. Ratha gelang die Flucht über Colombo direkt in die Schweiz, wo er – wie übrigens auch sein Arbeitskollege Karan und tausende anderer Tamilen – zwei Jahre später im Auffanglager Kreuzlingen landete.
Nach einem zweieinhalbjährigen Deutschkurs bei der Erwachsenenbildung in Zürich begann er am 26. März 1990 als Kellner im Café Röschibach zu arbeiten. In total 28 Jahren hat Ratha insgesamt nur ganze drei Tage gefehlt, wie er stolz vermeldet. Mit einem Wohnungsumzug beschäftigt, war ihm ein Schrank auf den Fuss gefallen. Ratha zeigt sein Arbeitszeugnis, das vom früheren Pächter Alfons Götte signiert ist. Die ersten zwanzig Jahre habe er sogar keinen einzigen Tag gefehlt! Nun muss Ratha einen neuen Job finden. Öffentliche Gastronomie müsse es nicht unbedingt mehr sein, sagt Ratha, er sei auch gerne bereit, in einem Altersheim oder in ähnlichen Institutionen zu arbeiten. Es falle ihm nicht leicht, als Arbeitsloser nun regelmässig beim RAV vorbeigehen zu müssen, er wolle schliesslich arbeiten und niemandem zur Last fallen, er habe seinen Stolz. Ausserdem lebten bei ihm zuhause nebst seiner Frau, einer zwölfjährigen Tochter auch noch zwei Buben, sie seien Zwillinge und würden an Autismus leiden. Deren Behandlung sei teuer – was ihn zusätzlich motiviere, so schnell als möglich wieder in der Arbeitswelt Fuss zu fassen.
Karan – der auch Vater von zwei bald erwachsenen Kindern ist – verfügt über eine ähnliche Biographie. Ihm gelang 1991 die Flucht aus dem Norden Sri Lankas über Bangkok und Italien. Zu Fuss erreichte er über die grüne Grenze die Schweiz. Sein gutes Deutsch verdankt Karan dem Unterricht Mitte der Neunzigerjahre in der Klubschule Migros – wie auch später in der Sprachschule Bénédict. Anders als sein langjähriger Kellnerkollege Ratha arbeitete Karan vorwiegend als Koch und Einkäufer, wirkte bei Bedarf allerdings auch als Serviceperson. Sein Arbeitszeugnis klingt nach 26 Jahren treuen Diensten exzellent: Der letzte Pächter Rudolf Singenberger bescheinigt Karan höchste Arbeitsbereitschaft, hohes Engagement und organisatorisches Geschick - alles Eigenschaften, die im Laufe der Zeit in unzähligen Schweizer Gastronomiebetrieben den Tamilen unisono zugeschrieben wurden. Es ist ein Fakt: die halbe Beizenschweiz wäre damals gezwungen gewesen, Konkurs anzumelden, hätten alle Tamilen auf einen Schlag das Land verlassen müssen. Heute fungieren Tamilen mehrheitlich als erfolgreiche Ladenbesitzer und Restaurantbetreiber, ihre Kinder sprechen perfekt Schweizerdeutsch, studieren teilweise und sind meist gut integriert.
Laut dem Pächter Rudolf Singenberger beabsichtigt die Stadt Zürich als Eignerin, das dicht an der Hardbrücke/Rosengartenstrasse gelegene Büro- und Gewerbegebäude in naher Zukunft in ein neues Sozialzentrum zu verwandeln – sofern die Zürcher Bevölkerung dem hohen Umbaukredit (wohl erst im Herbst 2019, man munkelt über ein Vorhaben von 90 Millionen Franken) auch zustimmt. Ob das Café bis dahin leer bleibt oder anderweitig genutzt wird, entzieht sich seiner Kenntnis.
Rudolf Singenberger hatte das Café-Restaurant vor fünf Jahren übernommen. Wenige Tage nach der Vertragsunterzeichnung mit der Eignerin ZKB wurde ihm beschieden, das Gebäude werde in ein paar Tagen an die Stadt verkauft. Vonseiten der ZKB wurde ihm zugesichert, die Schalter der Bank würden zwar geschlossen, das Büropersonal - das bis anhin im Café Röschibach zu essen pflegte – bleibe natürlich. Es kam anders. Der grösste Teil des Personals wanderte allmählich ab in den Kreis 5 zum Prime Tower oder zum dortigen ZKB-Gebäude. Es blieben ein paar Büroangestellte und der ZKB-Bankomat, der zwar 24 Stunden zur Verfügung steht, aber zu keinerlei Nahrungsaufnahme im nahen Restaurant genötigt ist…
Von nun an kamen nur noch die Angestellten des nahen Kreisbüros, die Polizei und ein paar Handwerker aus dem Wipkinger Gewerbe – auf Dauer zu wenig, um als Beizer bei der hohen Miete überleben zu können. Später sollen zwei ZKB-Direktoren gegenüber Singenberger zugegeben haben, sie hätten im vornherein gewusst, dass er, der neue Pächter, bei all den Änderungen früher oder später finanziell wohl auflaufen würde.
Der Schreibende meint: Vielleicht sollte die Stadt mit weniger exorbitanten Mieten für Restaurantpächter dafür sorgen, dass das Beizensterben nicht noch weiter um sich greift. Gutgefüllte Beizen in Quartieren zeugen vom seelischen Wohlergehen der lokalen Bevölkerung, dienen dem sozialen Zusammenhalt. Die Stadt könnte sich damit sogar einen Grossteil neuer Sozialzentren sparen …
Die zweite Frau versuchte nun mit nervös-hektischen Armbewegungen, Zorro auf Distanz zu halten. Ich entschuldigte mich und befahl Zorro in meine Nähe – chumm dahäre, sitz! Brav. Danach nach holte ich mein kärgliches Nahostarabisch hervor und beschwichtigte, mein Hund sei harmlos, nur etwas neugierig, das Sandwich rieche wohl sehr verführerisch. Die Somalierin schien mein Arabisch zu verstehen und sagte, sie möge keine Hunde, sie seien unrein, das Tier solle möglichst weit weggehen. Ich entgegnete, ich hätte natürlich Verständnis, dass man Hunde nicht möge, taban, ana bafham. Aber das Tier sitze jetzt brav an meiner Seite, es gäbe nichts zu befürchten, alles sei gut, kullu tämääm, mish mushkela. Unrein sei Zorro auch nicht unbedingt, qelbi mish wissech, qelbi ndiif, grad kürzlich hätte ich ihn shamponiert und Hunde gäbe es nun mal überall in der Schweiz, fi qalaab kullu mäkään fi Sviisra, so ist es nun mal, man gewöhne sich am besten daran. Die zischende Replik der Dame verstand ich nicht. Mir schien nun, etwas deeskalierende, interkulturelle Konversation könne nicht schaden und ich fragte die drei neugierig, aus welchem Teil Somalias sie stammen würden. Nach einer Weile murmelte die eine Frau missmutig: „Mogadischu“. Hoppla, Mogadischu, entgegnete ich etwas hilflos, nicht lustig dort, mit all den Banden, den Gotteskriegern, den Shabab und so. Seit dem Sturz von Ex-Präsident Siad Barre sei es ja mit Somalia kontinuierlich bergab gegangen. Und dann die Äthiopier… Ich wäre nie dort gewesen, fuhr ich fort, aber 2004 sei ich mit dem Velo unweit der somalischen Grenze durch die Wüste Nordkenias gefahren, ganz nahe an ihrem Heimatland. Schöne Gegend, endloser Horizont, Gazellen – und ein Glutofen. Ya habibi, fi shob! Das schien die drei Somalis aber nicht sonderlich zu interessieren, sie wandten mir wieder den Rücken zu und parlierten untereinander weiter. Der unreine Zorro und meine Kommunikationsversuche hatten sie wohl verstimmt. Ich verabschiedete mich schuldbewusst, ma’assalamé, allah ma’akum we marhaba fi Sviisra, ich kriegte allerdings keine entsprechende Replik. Beschämt kletterte ich über Steine und Wurzeln zu meiner Lieblingsstelle unterhalb des Hardturmstegs. Dort las ich in einem Buch, Zorro kaute an einem Stück Schwemmholz und schnappte nach Fliegen. Eine Stunde später kehrte ich zurück und hangelte mich an besagter Stelle durch die Bäume wieder hoch zur Breitensteinstrasse. Die Somalier waren verschwunden. Unter dem Baum, wo sie gepicknickt hatten, lagen nunmehr drei grosse 1.5 Liter-PET-Flaschen, unzählige Plastiksäcklein, eine Kartonschachtel, Tupperware und viel zerknülltes Papier.
Tage später war ich nach Mitternacht mit Zorro im Wipkingerpark unterwegs. Nach erfolgreichem Tennisball-Penaltyschiessen gegen Goalie Zorro auf dem rutschigfeuchten Rasen kehrte ich zurück Richtung Hardbrücke nach Hause. Unter dem Vordach der Gewerbeschule, wo die steinernen Pingpongtische stehen, tummelten sich viele auffallend gutgekleidete Jugendliche. Ein paar junge Männer warfen fröhlich und wohl schon ziemlich angesäuselt Dutzende von Weinflaschen hoch, letztere zersplitterten spektakulär auf den Pingpongtischen oder auf dem Betonboden.
Es wurde gegrölt und getanzt, aus Ghettoblastern wummerte
eine Art Techno, die Anwohner waren nicht zu beneiden. Ich tippte
innerlich auf Gymnasiasten aus gutem Hause beim Abfeiern von irgendwas.
Sie schienen alle Schweizer zu sein, spezifische Migrationshintergründe
waren prima vista nicht zu eruieren. Jeunesse dorée, dachte ich, Party
people aus den besseren Kreisen 6 oder 8 oder vom Züriberg, ihrem
natürlichen Biotop. Schwamendingen, Glattbrugg oder Affoltern fungierten
wohl kaum als ihr Habitat. Ich blickte auf den Betonboden, er war fast
gänzlich von Glasscherben bedeckt. Ich näherte mich unschlüssig, hielt
Zorro an der kurzen Leine und sprach eine junge Frau an, die
kopfschüttelnd an mir vorbeiging - ihr schien die ausartende Party nicht
mehr ganz geheuer. Ich teilte ihr mit, ich würde hoffen, dass sie alle
hier - bevor sie frühmorgendlich ins Elternhaus zurückgingen – die
Scherben zusammenräumten, am nächsten Morgen würden Gewerbeschüler oder
andere Jugendliche sicher gerne Pingpong zu spielen. Sie nickte und ging
entschlossen hoch zu den Jungs. Die hörten der jungen Frau überraschend
zu und stellten sogar die Musik leiser. Ich nahm meinen ganzen Mut
zusammen und dozierte in die Runde, ich sei auch mal jung gewesen, kein
Problem, Initiationsrythen, bacchantisches Ausleben und dionysische
Orgien seien wichtig für den Persönlichkeitsaufbau, zweifelsohne. Aber
als Anwohner würde ich es schätzen, wenn sie, die jungen Leute, danach
alles aufräumen könnten, am Montag kämen Familien, Gewerbeschüler und
andere, um zu spielen, da sei ein Glasscherbenteppich nicht die ideale
Spielgunterlage, auch nicht für meinen Hund, der sei manchmal auch da
oben und jage nächtliche Marder. Und sie, die Jugendlichen aus gutem
Hause seien sicherlich gut erzogen und politisch reif genug, die
Aufräum- und Drecksarbeit nicht exklusiv den ausländischen Mitarbeitern
von Gamma Remax oder Recycling Zürich zu überlassen, oder? Die jungen
Frauen nickten alle unisono, die Jungs wirkten unschlüssig, einige sogar
verlegen. Ich war erleichtert, Hoffnung keimte in mir auf. Ein grosser,
blonder, gut aussehender Jugendlicher – er schien eine Alphafunktion
auszuüben und würde in Bälde sicherlich die Offiziersschule absolvieren –
kam näher, blickte auf mich hinunter und sagte, ich hätte recht, das
würden sie tun, keine Frage. Aufräumen sei Ehrensache. Ich könne
beruhigt sein, alles easy. Ich dankte höflich im Namen der Menschheit
und eilte erleichtert von dannen, mit der Gewissheit, man müsse halt nur
reden miteinander.
Am nächsten Morgen spazierte ich vor dem obligaten Kaffee im Spheres ennet der Limmat wieder an der Turnhalle vorbei. Ich lief hoch auf die Rasenfläche und linste neugierig auf die Fläche mit den Pingpongtischen. Noch eindrucksvoller als in der Vornacht lagen im morgendlichen Licht unzählige Bierbüchsen und Flaschen, Pizzakartons, Glas- und PET-Flaschen herum. Und von Glasscherben übersät funkelten Pingpongtische und Betonboden.
Er grüsste mich immer, wenn auch nur sehr unaufwendig mit einem kaum
merkbaren Nicken. Diesmal lehnte er am Geländer über der Limmat exakt
unterhalb der Dammtorbrücke und blickte interessiert ins Wasser. Eine
S-Bahn donnerte über uns hinweg, ihr Dröhnen klang lange im Schädel
nach. Ich näherte mich ihm. Er drehte den Kopf zu mir, nickte kurz und
schaute wieder in den Fluss. Im Vorbeigehen erblickte ich, was er sah.
Ein grosser Hecht stand bewegungslos in der schwachen Strömung. Ich
lehnte mich fasziniert über das Geländer. Zorro spitzte interessiert
die Ohren. Nach einer Weile sagte der Mann ohne mich anzuschauen: „Ein
Hechtweibchen. Die kommt jedes Jahr hierher und laicht da.“ Wir
schwiegen und nickten wissend.
Irgendwann später sprachen wir über Fische, Wasser, Schiffahrt, über die
Welt. Der Mann war über vierzig Jahre zur See gefahren. Kalkutta,
Surabaya, Hongkong, Seattle, Guayaquil, Montevideo, Valparaiso, Dakar.
Er sprach nicht viel, aber in der Knappheit seiner Worte hing enorm viel
Gelebtes – wie schwerer, nasser Tang an einer rostigen Ankerkette. Ich
sagte ihm, ich hätte hier kürzlich einen Eisvogel gesehen. Er nickte
anerkennend. Und einen Fuchs, fügte ich bei. Der sei – als ich mit dem
Velo auf der Dammstegbrücke fuhr – auf einem der Pfeiler des Dammsteges
entspannt sitzengeblieben. Dann am Himmel die Sperber, Schwarz- und
Rotmilane, im Wasser die Gänsesäger, Tafelenten und die Bachstelzen. Der
Mann nickte und erwähnte Marder, Iltisse und Dachse, die im Quartier
lebten. Der Biber komme auch bald. Der Mann hatte recht: Wochen später
planschte nachts um zwölf ein ausgewachsener Biber kurz vor der
Hardbrücke in der seichten Uferzone der Limmat. Ich traute meinen Augen
kaum. Zorro bellte, er war sehr aufgeregt.
Der Mann und ich schwiegen dann wieder und blickten auf einen Kormoran, der bei der Badi Unterer Letten auf einem Felsen in der Limmat seine weitgespreizten Flügel trocknete. Alle hatten was zu tun, waren beschäftigt. Wir lehnten übers Geländer, schauten und schwiegen. Es war sicher eine Stunde vergangen. Hinter uns auf dem schmalen Steg hasteten zahllose Jogger vorbei. Einer zischte verärgert, der Hund gehöre an die Leine, er stünde im Weg.