Mani Matter’s Lied von den Bahnhöfen ist – wie alle seine Werke – für die Ewigkeit gedacht. Es gibt in Zürich-Wipkingen jedoch einen Ort, an dem Ende Mai 1989 der letzte Zug abfuhr und keiner mehr wiederkam: der Bahnhof Letten. Das spätere Schicksal des stillgelegten Bahnhofs ist bekannt: Er verkam 1993-1995 zusammen mit dem Platzspitz, dem „Needle Park“ zum berüchtigten Drogenumschlagsplatz. Als zwei Jahre später die Situation rund um den Letten entschärft war, wurde der Tunnel nach Stadelhofen zugeschüttet, das Bahnhofsgebäude dagegen verschont und unter Heimatschutz gestellt. Heute fährt kein Zug mehr ab im Bahnhof Letten – jedoch die Post, was inhaltlich intelligente und bildtechnisch brillante Publikationen betrifft.
Letztere liegen nunmehr säuberlich gestapelt auf einem langen Holztisch unter dem ausladenden Vordach des historischen Bahnhofs und harren der Begutachtung. Die Location ist ideal: Gleich daneben hausen und agieren die Betreiber des „Parkplatz“ in ihren variablen Räumen und gewagten Kunstkonstruktionen. Links davon steht die in alten Eisenbahnwaggons eigerichtete Bar „Paradiso“ des zürichweit bekannten Gastronoms und „Stolze-Openair“-Gründers Louis Schorno und seinem Team. Geradehaus befindet sich das altehrwürdige Turbinenhaus der EWZ und über den Lettensteg geht es direkt zum nahegelegenen Limmatplatz. Die Redaktion des renommierten Schweizer Reisemagazins „Transhelvetica“ haust im Innern des ehemaligen Bahnhofs. Renommiert, weil die hinter „Transhelvetica“ stehende Zürcher Agentur „Passaport“ anlässlich des Content Marketing Award 2018 in Wien für ihre Publikationen einmal Gold und zweimal Silber erhielt, was bei Hunderten von Mitbewerbenden einem Riesenerfolg gleichkommt.
Das thematisch ausschliesslich auf die Schweiz fokussierende Magazin „Transhelvetica“ wurde 2009 von Jon Bollmann und Pia Marti gegründet. Die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten stieg mit den Jahren unaufhaltsam, die Auflage von „Transhelvetica“ beträgt mittlerweile stolze 18'000 Exemplare. Ein Jahresabo kostet 55.–, für ein einzelnes Exemplar sind 10.– zu berappen. Das sind äusserst faire Preise angesichts der hohen Qualität des Presserzeugnisses, für Zürich fast unfassbar günstig, meint der Schreibende. Warum?
Michèle Fröhlich sitzt am Tisch, sie amtiert als Chefredakteurin, hat in Winterthur an der ZHAW Kommunikation und Journalismus studiert und arbeitet seit drei Jahren für den „Passaport“-Verlag. Sie betont, man halte die Preise bewusst tief, dass sich jeder ein Stück Reisekultur als Lektüre, Reiseinspiration oder Geschenk für einen Freund leisten kann. Dank Quersubventionierung mittels publizistischen Kooperationen mit Museen, Tourismusbehörden und Reisemagazinen hole man das rein, was man beim Gestalten und dem Verkauf der hochwertigen Reisemagazine ab und an drauflege, erklärt sie.
Chefredakteurin Michèle Fröhlich mit dem Team im alten Bahnhof Letten.
Jedes „Transhelvetica“-Magazin widmet sich einem Thema, meint Michèle Fröhlich und breitet einige Magazine aus. Der Blick fällt auf Exemplare mit den Monothemen „Freitag“, „Baustelle“ oder „Bündner Pärke“ – und überraschenderweise auch auf eines mit dem Fokusthema „Mexico“. Auf die Frage, was das ferne Mexiko mit den ureigenen Schweizerthemen in „Transhelvetica“ zu tun habe, erklärt Michèle Fröhlich:
«Wir wollen den Lesern zeigen, dass das Ferne (wie Mexiko) auch vor der eigenen Haustüre entdeckt werden kann, dieses Feriengefühl versuchen wir auf spielerische und emotionale Art und Weise abzuholen, auch in Bezug zur Welt-Aktualität (Mauer in Mexiko)».
Ein paar Beispiele: Wer davon träume, in Acapulco an der mexikanischen Pazifikküste den wagemutigen, jungen Leuten - den „Clavadistas“ - an der „Quebrada“ beim waghalsigen Sprung ins salzige Meer zuzuschauen oder solcherlei gar selber riskieren wolle, der könne dies auch im Süsswasser tun, beispielsweise in der Maggia im heimischen Ponte Brolla bei Locarno - inmitten einer ebenso spektakulären, steinernen Landschaft. Wer seine Speisen scharf essen mag und für den Chili ein unverzichtbares Kulturgut ist, muss nicht zwingend in der mexikanischen Provinz Chiapas eine Chili-Farm besuchen, er kann dies durchaus auch in einem Gewächshaus ausserhalb von Untervaz tun, wo vier junge Bündner ihr Startup „CalaChili“ betreiben und drei Mal im Jahr die geschmacklich unterschiedlichsten Chilisorten züchten – alles biologisch, versteht sich.
Jedes Transhelvetica-Magazin widmet sich einem Thema.
Die helveto-mexikanische Übersichtskarte auf den Seiten 8 und 9 im „Mexico-Transhelvetica“ – Magazin zeigt noch weit mehr Möglichkeiten auf: lokalen Tequila degustieren im Val Müstair, auf dem Rio Aare paddeln und nachts im Maisfeld schlafen - Mais ist schliesslich die Mutter aller Tacos. Dann in der Zürcher Sukkulentensammlung Kakteen betrachten, im seeländischen Kerzers im Papiliorama mexikanische „Mariposas“ – also Schmetterlinge – bestaunen, im Entlebuch den Adler, das mexikanische Wappentier, mit dem Feldstecher jagen und all jene in der Schweiz verteilten Hotspots mit einem immer noch in Mexiko fabrizierten„Vocho“, einem VW-Käfer, besuchen!
Fazit des Schreibenden: Das zunächst etwas verwirrende Konzept, ein sich ausschliesslich der Schweiz widmendes Magazin mit dem provokanten Titel „Mexico“ auf der Umschlagsseite zu versehen, ist schlüssig und geht beim Durchblättern vollkommen auf. Um es in Mexikanisch auszudrücken: Ha funcionado muy bien.
Das Arbeitsklima im Team um Verlagsleiter Jon Bollmann ist bei unserem Besuch spührbar positiv.
Wer sich „Transhelvetica“ nur auf den Nachttisch legt, um nach wenigen Minuten Lektüre rasch in den Schlaf zu fallen, wird Monate brauchen, um alles zu lesen. Viel eher möge man sich bemühen, die nötige Zeit und Ruhe aufzubringen, um der journalistischen Vielfalt, der hohen grafischen Qualität und dem inhaltlichen Reichtum von „Transhelvetica“ gerecht zu werden. Das Format erinnert den Schreibenden an die renommierte Dokfilm-Serie des Westschweizer Fernsehens RTS „Passes-moi les jumelles“. Deren Credo lautet: „La seule émission qui prend son temps et qui vous offre chaque vendredi un bol d’oxygène“. Will heissen : Die einzige Sendung, die sich Zeit nimmt und ihnen jeden Freitag einen Beutel Sauerstoff spendet. Für Transhelvetica gilt das gleichermassen, wenn auch leider nur alle zwei Monate.
Zu erwähnen bleiben noch die wunderbaren „Transhelvetica“-Plakate der Illustratoren und Gestalter Benjamin Güdel (Sujet Mexiko), Amadeus Waltenspühl (Freitag), Pierre-Abraham Rochat (Baustelle) oder Sarina Streben (Ring) – allesamt spezielle Kunstwerke ergänzend zu den jeweiligen Ausgaben. Eines davon zeigt die Felsen und die Eisenbahnbrücke in Ponte Brolla vor einem blutroten Abendhimmel, mit einem jungen Mann kurz vor seinem Sprung in die Maggia. Güdels Malstil evoziert gekonnt und höchst stimmig den altvertrauten Malstil von Plakaten aus den Anfängen des Schweizer Tourismus mit der ihm eigenen, gestalterischen Kreativität und Eigenart.
Zu allem bemüht sich die Redaktion auch um nichtpublizistische Aktivitäten rund um den Bahnhof. Unlängst organisierte das Redaktionsteam des „Passaport“-Verlags eine opulente „Tavolata“ mit dem weitherum bekannten Koch Chris Züger und seiner Küche aus rauchigen Feuerringen. Zurzeit näht und arbeitet eine junge Innendekorateurin unter dem Bahnhofdach. Ein alter Schrank dient dem Vorbeigehenden als Bibliothek. Jedermann kann Bücher deponieren oder mitnehmen – gratis. Weitere Aktivitäten sind geplant.
Der Schreibende Daniel Ludwig meint, man möge es doch mit den Mexikanern halten: „Si la vida te traiga limones, recuerdate de tequila y sal!“ Wenn Dir das Leben Zitronen beschert, denk an Tequila und Salz!
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